Text: Bernd Huck

„No More“ Music Club

Wir sitzen in Odessa in einem Irish Pub, der zwar angeblich 200 Streams empfängt, aber nur einen davon auf alle Monitore spielt, und das ist heute Manchester, aber nicht der BVB. Den können sie hier nicht empfangen. Wir zwar schon, aber der kleine Handymonitor macht keinen großen Spaß. Weil der BVB dann deutlich in Freiburg führt und keine mitreißende Spannung zu erwarten ist, schlägt Manuel, irgendwie aus Langeweile, den Besuch eines Konzertes in Odessa vor. Zwei finden an diesem Tag statt, wenn My Fair Lady auch als Konzert gilt. Das andere findet im More Music Club statt, dort soll die italienische Band Spiritual Front spielen, die schon vor der Jahrtausendwende in Rom gegründet wurde und uns trotzdem neu war.

Laut Google ist der Club ganz in der Nähe. Laut Wikipedia
bewegt sich die Musik der Band im Spannungsfeld zwischen Neofolk, Post-Punk und
Dark Cabaret, laut einer anderen Quelle handelt es sich um Suicide-Punk, sie
selbst bezeichnen ihren Stil als Nihilist Suicide Pop. Damit erreichen sie auch
das Postindustrial Publikum und bestimmte Independent Bereiche wie die Gothic Szene.
Und irgendwie haben sie jetzt auch uns erreicht, aber wir haben noch lange
nicht den Club erreicht. Was wir trotz aller Vorbehalte gegen die möglicherweise
sehr schräge Musik nach Spielschluss in Freiburg und einer Weile Liverpool gegen
Cardiff ernsthaft versuchen.

Die angegebene Adresse ist allerdings falsch. Es ist mehr eine Art Café, drei freundliche Odessiten bemühen ihre Smartphones und schicken uns ein paar Meter weiter. Aber da ist der Club auch nicht. Dann fragen wir wieder und erhalten die sehr konkrete Info, um’s Eck zu gehen, eine Treppe rauf und dann eine rote Tür auf der linken Seite zu benutzen. Tatsächlich finden wir alles wie beschrieben und gelangen in einen Club, sehen eine leere Bühne und ein paar Leute in einem Laden, der wie eine Mischung aus Jugendfreizeitstätte und Kneipe daherkommt. Links in einer Ecke sitzen ein paar Leute um einen großen Tisch, auf dem jede Menge Dokumente liegen, es scheint, als wären sie entweder eine Selbsthilfegruppe oder sie würden die Buchhaltung machen. Rechts war eine lange Theke, drei Leute davor, einer dahinter und noch zwei auf einer Bank, die fortwährend auf ihren Handys tippten.

Jedenfalls waren wir falsch. Noch vor wenigen Wochen wären wir richtig gewesen, da gab es eine Kooperation mit dem More Music Club, aber jetzt ist der woanders, sagte man uns. Und dass die Leute am Tisch ein Spiel spielen würden. Woher wir kämen, was wir wollten und ob wir einen Wodka aufs Haus trinken würden. Warum nicht.

Die Toiletten im Anfang der 80er Jahre Stil einer Kneipe in
Kreuzberg waren durchaus originell, aber es waren eben nur Toiletten. Aber wir
bekamen die neue Adresse aufgeschrieben, nur ein paar Blocks weiter, und
schließlich hatten wir Google. Aber am Ziel angekommen war wieder nichts von einem
Musikclub zu sehen.

Eine Toilette in dem Club, in dem das Konzert dann doch nicht stattfand. Sehr rot und sehr liebevoll dekoriert.


Am Ende des Ganges: Links.

Wir fragten weitere Odessiten. Manche wussten ungefähr, wo der Club sein würde, manche waren sich ziemlich sicher, was uns irgendwann auch nicht mehr reichte. Jemand, der sich ganz sicher war, schickte uns noch mal um’s Eck und ein paar Meter weiter. Dort, wo das Konzert hätte stattfinden sollen, stand aber nur ein freundliches Pärchen und bot sofort seine Hilfe an. Sie recherchierten mit ihren Smartphones und riefen uns dann ein Taxi, das uns endlich in den Club fahren würde. Vorsichtshalber schrieben sie die Adresse auf und brieften noch den Taxifahrer.

Wir hatten da schon aufgehört, an das Gute im Ukrainer zu glauben. Jedenfalls, wenn es um Wegbeschreibungen geht. Vermutlich hatten sie ihren Spaß daran, Ausländer durch die Stadt zu schicken, mit Vorliebe in der Dunkelheit und gerne mit Taxis. Vielleicht war es das Spiel der Leute im ersten Laden, die am Tisch saßen und vermutlich von dort aus Touristengruppen wie Marionetten durch die Stadt lenkten. Es überraschte uns also nicht, dass uns der Taxifahrer an einer Kreuzung aus dem Auto warf und erklärte, dass dies die Kreuzung sei, die ihm das Pärchen aufgeschrieben hatte. Hier müsse irgendwo der Club sein. Wir suchten die vier Ecken gründlich ab, fanden natürlich nichts und gingen zum Taxi zurück, das merkwürdigerweise auf uns gewartet hatte. Dann fuhren wir zurück ins Hotel.

Wir hatten die Spiritual Front verpasst. Manuel schlug vor, die
Stadt Odessa und ihre Stadtplanproduzenten zu verklagen. Und Google.

Das Konzert soll trotz der nihilistischen und suizidalen Vorlieben der Band und ihres Publikums stattgefunden haben. Leider ohne uns.

Auf diesem Bild ganz fröhliche Kerlchen: Die vier Jungs der Suicide Punk Band „Spiritual Front“, die in Odessa ein für Touristen gut getarntes Konzert gaben.