Text: Christopher Heimer
Ziegen statt Siegen – Da brat mir doch einer ’nen Hirsch
17th International Journalists’ Football Tournament, Litauen, 9.-11.9.2022
Ein Reisebericht
Druskininkai, Litauen, Sonntag Morgen: Der Wecker klingelt. 7 Uhr, draußen ist es noch fast dunkel, es regnet. Der Kopf vermeldet brummigen Bierkater, der Körper mittelschweren Muskelkater. „Und, wie fühlst du dich nach deinem internationalen Debüt?“ fragt Käpt’n Klemmi vom Nachbarbett. Ja, wie fühle ich mich? Knapp 12 Stunden Hinfahrt, zwei feuchtfröhliche Abende, Kicken bei windigen 12 Grad, 3x auf dem Feld nix zustande gebracht, 3x im Tor die Hütte vollgekriegt, im letzten Spiel mit böser Wade draußen und erst recht keine Hilfe für’s Team, dann ein noch feuchterer Abend… die Antwort liegt also auf der Hand: „Großartig!“
Vor Jahren hatte Klemmi das erste Mal gefragt: „Kickst du gerne?“ Keine Ahnung, was ich geantwortet habe, aber die Aussage dürfte gewesen sein „Ja, aber stramm unterdurchschnittlich und noch dazu völlig aus der Übung.“ Wider Erwarten war ich damit sofort dafür qualifiziert, in Klemmis Verteiler aufgenommen zu werden. Jahr um Jahr musste ich absagen, weil ich es terminlich einfach nicht einrichten konnte. Nach drei Jahren Corona, die jeglichen Rest von Sportlichkeit aus dem Körper gefegt hatten, passte es diesmal tatsächlich. Also einfach mal ja gesagt.
Mittwoch, 22 Uhr. Mit einer faktischen halben Stunde Verspätung, die sich wie drei Stunden anfühlt, steige ich in Potsdam aus dem Zug. Klemmi wartet schon am Bahnsteig, drückt mich herzlich und strahlt. Zwei schöne Stunden und zwei Helle später falle ich bei ihm ins Bett. Schon da weiß ich: Richtig entschieden!

Klemmi plant die Startaufstellung
Donnerstag, 10 Uhr. Sitze mit Klemmi bei Bäcker Exner in Michendorf und beobachte fasziniert, wie unglaublich langsam die freundliche Bedienung ihr Tagwerk vollbringt. Frage mich, ob ich auf dem Platz schneller sein kann. Bernd und Gogo wollten uns eigentlich um 10 einsammeln, und im Netto nebenan gibt es keinen Donnerstags-Kicker. Klemmi wird hibbelig. Während ich draußen rauchen gehe, kritzelt er schon mal eine Startaufstellung auf einen Zettel.
Donnerstag, 23 Uhr Ortszeit. Die gute Nachricht: Wir sind da. Die schlechte Nachricht: Litauische Tankstellen verkaufen nur

Ein herzliches Willkommen in Litauen.
alkoholfreies Bier, es ist kalt und in Druskininkai um 11 Uhr abends alles zu. Die Zimmer liegen im Keller und sind arschkalt. Enttäuschung. 5 Minuten später sitzen wir im 6. Stock in der Suite von Gastgeber und Organisator Tautvydas, der alles, was er noch an Essen und Trinken finden kann, zur Verfügung stellt und sich sichtlich freut, dass Klemmi und Bernd mit Team Germany wieder dabei sind. Ein herzlicher Empfang. Ich bin sicher: Richtig entschieden!
Freitag, 10.30 Uhr. Nach mittelmäßigem Frühstück Ankunft im Grutas Park. Nach 12 gemeinsamen Autostunden am Vortag habe ich das Gefühl, Bernd und Gogo schon von zig Turnieren zu kennen. Wir wandern vorbei an steinernen sozialistischen Monumenten, Baumhäusern und verschiedenen Tieren. Käpt’n Klemmi erwähnt, dass ein Bericht über den Trip zu schreiben sei und tut das in seiner unnachahmlich liebenswerten Art so, dass klar ist: ich als Neuling muss es machen. „Überschrift: Ziegen statt Siegen“ sage ich, als wir das nächste Gehege passieren. Was natürlich vollkommen sinnfrei und überhaupt nicht lustig ist.
Freitag, 18 Uhr. Gefühlte 100 Lenin-Statuen, einen zweistündigen Spaziergang mit Gogo und eine Massage im Spa später hat der Käpt’n in die Hotelbar gerufen. Der Rest des Teams ist unterwegs, um 19 Uhr soll es im Speisesaal etwas zu essen geben. Freundlich werden wir von litauischen Vertretern der Friedrich-Ebert-Stiftung angesprochen und unterzeichnen auf einer Liste, dass wir nachmittags ihrem Vortrag gelauscht haben. Zumindest glauben wir das. Wir werden sehen, ob wir irgendwann eine Waschmaschine geliefert bekommen. Dann kommen die anderen Jungs: Beide Martins, die sich Gott sei Dank optisch sehr gut unterscheiden lassen; Joscha, der meinen Fast-Namensvetter an der Filmakademie betreut hat; Andreas, der mit seinen spanischen Genen internationale Fußball-Klasse ins Team bringt; und Sebastian, der mit blondem Irokesen ganz anders aussieht als auf allen Fotos und sich direkt entschuldigt, dass die zwei Fahrbier auf der Fahrt vom Flughafen schon etwas reingehauen haben. All diese Jungs sehe ich gerade zum ersten Mal und trotzdem fühlt es sich nach 5 Minuten schon so an, als hätten wir jede Menge Titel zusammen geholt.
Freitag, 19 Uhr. Im Speisesaal wird aufgetischt. Das Hauptgericht entpuppt sich natürlich als fleischlastig. Sofort bieten mir Martin, Gogo und Andreas ihre Kartoffeln an und teilen sich mein Fleisch. Das ist echter Team-Spirit. Nach dem Essen wird es kurz ernst: Käpt’n Klemmi holt den Zettel von Bäcker Exner raus und erläutert seine 1-4-1 Wunschformation, die er mit 6 leeren Gläsern auf dem Tisch anschaulich darstellt. Nach kurzer Diskussion, in der auch Klemmi einsehen muss, dass uns anderen dazu die fußballerischen Fähigkeiten fehlen, einigen wir uns auf zwei Dreierketten, bevor die nette Bedienung anfängt, die leeren Formationsgläser abzuräumen und unsere linke Seite völlig aufmacht. Später am Abend dann die gute Nachricht, dass das erste Auto der ukrainischen Mannschaft nach ungewissen Stunden an der polnischen Grenze tatsächlich eingetroffen ist und auch das zweite Auto auf dem Weg sei.
Samstag, 10.15 Uhr. Der Bus spuckt uns an der Spielstätte aus. Entgegen der ursprünglichen Vorhersage regnet es zwar nicht, aber 12 Grad mit litauischem Wind fühlen sich schon sehr knackig an. Martin Wilgers Knie macht leider schon beim Aufwärmen Probleme. Mit einer halben Stunde Verspätung dann Anpfiff gegen halb 12. Unsere Ärsche sind da schon rosa, da die Graffitis auf der Ersatzbank leider auf die weißen Hosen abfärben. Ich muss an die Affen im Grutas Park denken. Team Pavian is ready!

Team Germany, oben rum recht windschnittig, unten rum trotzdem viel zu langsam:
Martin Wilger, Sebastian Trepper, Christopher Heimer, Bernd Huck, Joscha Douma (oben v.l.)
Ralf Klemm, Jan “Gogo” Gonsirowski, Martin Rahmlow, Andreas Izquierdo (unten v.l.)
Spiel 1: Lettland
Wir starten gegen die erfahrungsgemäß sehr starken Letten. Ich vorne rechts, einer Position, die mir völlig fremd ist. Nach zwei Minuten merke ich, dass mir alle anderen Positionen wahrscheinlich genau so fremd wären. Macht aber nichts, denn mit dem ersten vernünftigen Spielzug nach vorne gehen wir durch Seb in Führung, lassen danach sogar noch zwei gute Chancen liegen. Wahnsinn, mit einem Sieg zu starten wäre ein echter Hammer! Leider steht es beim Abpfiff nach 20 Minuten 1:1. Trotzdem ein super Auftakt.
Spiel 2: Armenien
Nach sehr kurzer Pause direkt weiter. Mit Armenien wartet direkt ein Turnierfavorit. Und ja, die Jungs können wirklich kicken. Meine Form entpuppt sich spätestens jetzt als noch schlechter als befürchtet. Ich mache den dünnen Kaffee im Hotel dafür verantwortlich, der meinen gewohnten Koffeinhaushalt völlig durcheinander gebracht hat (und von dem andere sagen, er wäre viel zu stark). Wir kämpfen tapfer, Gogo hält uns mit ein paar starken Paraden im Spiel. Nach vorne sehen wir aber kein Land. Am Ende steht ein völlig verdientes 0:3, mit dem wir gut leben können, zumal bessere Mannschaften von den Armeniern wesentlich höher geschlagen wurden. Leider steht am Ende auch ein angeschlagener Gogo, der mit einem Gegner zusammengerasselt ist und kaum noch laufen kann. Also ziehe ich mir Torwartklamotten an, auf dem Rücken die 0, denn die muss ja stehen. Eine klare Schwächung für‘s Team, zumal wir nun auch einen Wechselspieler weniger haben.
Spiel 3: Polen
Wir reden uns ein, dass die Polen eigentlich nicht wirklich besser waren als wir, aber wer vorne keine Bude macht, gewinnt leider selten. An den Gegentoren kann ich nichts machen, was aber natürlich kein Maßstab ist. Zumindest kann ich zwei, drei Dinger halten, fühlt sich gut an. Am gefährlichsten war Joschas Rettungskopfball auf’s eigene Tor, wo ich den Arm aber noch hoch bekomme. Nochmal 0:3, zumindest nicht mehr Gegentore als vorher, denke ich.
Spiel 4: Litauen (Kaunas)
Bei der Begrüßung fragt uns der Kapitän, ein gutaussehender, durchtrainierter Junge von 1,90m, wie wir denn bis dahin gespielt hätten. Beim Shakehands dann ein smart lächelndes „Good luck!“. Wir wissen selber, dass wir es brauchen. Erneut geben wir alles, die Kräfte lassen aber schon spürbar nach. Tatsächlich wäre vorne was möglich, wir kriegen es aber nicht ausgespielt. Am Ende steht es 0:4, wieder konnte ich an den Toren nichts machen, wieder ist das aber kein Maßstab. Wenigstens konnte ich erneut ein, zwei Schüsse halten. Und wieder steht die 0, wenn auch vorne.

Wenn Bilder mehr sagen als Worte.
Spiel 5: Litauen (Vilnius)
Die Luft ist spürbar raus, alle wollen noch, können aber nicht zuletzt aufgrund der angespannten Personalsituation nicht mehr richtig. Nun also gegen die Gastgeber, das starke litauische Team von Tautvydas. Der steht eigentlich im Tor, das gesamte Spiel über dann aber recht gelangweilt am Pfosten. Das rächt sich gnadenlos, als Bernd „Huckinho“ Huck in gerade mal 40 Sekunden über das gesamte Kleinfeld sprintet und eine passgenaue Flanke sensationell lässig mit dem Kopf einnickt. Gibt es hier die große Überraschung des Turniers? Nein, denn leider liegen wir zu dem Zeitpunkt schon klar zurück. Die Litauer spielen uns gnadenlos aus und ich helfe jetzt auch kräftig mit. Das erste Gegentor ist zwar ein strammer Schuss, der sich noch abdreht, aber den muss ich trotzdem haben. Später kommt noch ein hoher Ball vor’s Tor. Da die „Fünf-Meter-Räume“ winzig sind, will ich wegbleiben. Hätte ich auch machen sollen, denn der Kopfball wäre mir genau in die Arme geflogen. Aber Klemmi, der sich in jedem Spiel beispiellos reinhängt, ruft „Torwart“ – und natürlich folge ich dem Ruf des Käptn’s. Es folgt, was folgen muss: ich bin zu spät und sicher auch zu schlecht, der Kopfball trudelt über mich ins Tor. Als dann auch noch ein schon am Boden liegender Litauer eher zufällig beim Aufstehen den rollenden Ball, den ich gerade locker aufnehmen will, noch trifft und einschenkt, sinkt die Moral ins Bodenlose. Ergebnis: 1:6.
Spiel 6: Ukraine
Gogo will wieder ins Tor. Verständlich. Zwar kann er kaum noch laufen, aber dem Elend tatenlos am Rand zuzusehen und sich den Allerwertesten abzufrieren ist noch schlimmer. Eine herzliche Begrüßung mit den Ukrainern, alle sind froh, dass die Jungs dabei sind. Und dann passiert das Unglaubliche: Wir gehen in Führung. Wieder ist es Bernd, diesmal mit dem Fuß. Ich bin zu dem Zeitpunkt schon draußen, die Wade hat mir eindeutig zu verstehen geben, dass heute nicht mehr gesprintet wird. An der Seitenlinie fiebere ich mit und brülle – zu diesem Zeitpunkt schon völlig unrealistische – Kommandos wie „Geh!“. Die Ukrainer drücken, treffen den Pfosten, Gogo hält trotz Verletzung bärenstark. Alle werfen sich voll rein, ein geiler Fight! Szenenapplaus für Martin Rahmlow, der einem absehbar verlorenen Ball an der Seitenlinie hinterhergrätscht. Und dann pfeift der Schiri ab. Wir haben gewonnen! Unglaublich!
Spiel 7: Belarus
Die Startformation der Weißrussen ist das erste Team, bei dem sogar wir denken: Gut kicken können die jetzt echt nicht. Die logische Konsequenz: Martin Wilger, dessen Knie durchhält, bringt uns mit einem satten Schuss in Führung. Doch nach dem Ukraine-Fight sind alle endgültig ausgepowert und mit den ersten Wechseln werden die Weißrussen stärker. Ein ums andere Mal vergeben sie klare Torchancen, irgendwann klingelt es dann doch. Ein Unentschieden, das sich gerecht anfühlt. Nach vorne läuft bei uns jetzt gar nichts mehr, kurz vor Schluss dann noch ein überflüssiges zweites Gegentor. Abpfiff, 1:2. Bitter, anhand der Torchancen am Ende aber leistungsgerecht. In der Endabrechnung heißt das also: Vorletzter! Ein Achtungserfolg!

Warten auf die Siegerehrung vor der Snow Arena.
Samstag, 17 Uhr. Ankunft zur Siegerehrung an der Snow Arena, die Fahrt per Skilift über die Memel ist nochmal ein echtes Highlight. Außer für Bernd – der hat das mit dem Lift zwar rausgefunden und vorgeschlagen, leidet aber an starker Höhenangst. Das Dortmund-Spiel gegen Leipzig auf dem Handy ist auch keine gute Ablenkung. Vor der Snow Arena ist schon alles vorbereitet. Sofort entdecke ich das traditionelle Highlight: Hirsch am Spieß über offenem Feuer. Schmeckt dieses Jahr laut den Anderen übrigens „gar nicht so beschissen wie sonst“. Martin Rahmlow holt sogar nochmal Nachschlag. Die Siegerehrung, durch die Tautvydas souverän und sympathisch führt (zumindest glauben wir das – da er Russisch spricht, verstehen wir nämlich nichts) gerät diesmal sehr emotional. Die Ukrainer, die Letzter geworden sind, sind als Erste dran. Großer Applaus, der Teamchef bedankt sich auch für den Support aus Deutschland – womit er natürlich nicht das 5-Liter-Bierfass meint, das es von uns gibt. Nachdem zuletzt die Armenier von Tautvydas als verdiente Sieger ausgezeichnet und wie alle Teams von Klemmi mit Kappen als Gastgeschenken ausgestattet wurden, folgen die Einzelehrungen. Spieler des Turniers wird der armenische Goalgetter.
Am Ende dann der Ehrenpreis für den „most experienced player“, wie Tautvydas charmant ankündigt: Ralf Klemm, Team Germany. Toll zu sehen, wie alle Teams wirklich herzlich applaudieren und teilweise sogar abklatschen mit unserem Käpt’n, der seit so vielen Jahren dabei ist, bei diesen Events authentisch und kernsymphatisch Völkerverständigung in der Praxis betreibt und mit seinen 62 Lenzen auf dem Platz auch noch fitter ist als der gesamte Rest seines chancenlosen Teams. Wären in diesem Jahr zwei Teams mehr dabei gewesen, wäre Klemmi tatsächlich auf genau 100 Länderspiele mit dem German Media Sports Team gekommen. Ich finde es eigentlich ganz gut, dass es bei 98 geblieben ist, denn so wird Klemmi sich das nächste Turnier ganz bestimmt nicht nehmen lassen. Einladungen für Georgien und Armenien haben wir am selben Abend schon bekommen. Und vielleicht belohnen wir ihn zu seinem Jubiläum dann ja auch mit einer Platzierung in der ersten Hälfte des Tableaus. Man wird schließlich noch träumen dürfen.

Vorbild auf und neben dem Rasen: Käpt’n Klemmi.
Sonntag, 23.20 Uhr. Ich bin zuhause. Alles tut weh, ich bin hundemüde. Also genau wie morgens um 7 vor der Abfahrt, nur noch schlimmer. Danke natürlich ans gesamte Team Germany, ihr seid alle wirklich klasse und habt mich als Neuling so herzlich aufgenommen, dass ich mich trotz meiner Leistung jetzt schon auf’s nächste Mal freue! Vielleicht hat Wilger bis dahin auch rausgefunden, was in der 108 abging.
Danke auch an Tautvydas für die großartige Organisation und Gastfreundschaft!
Danke an alle Teams, die dabei waren und mit ihrer Teilnahme in schwierigen Zeiten ein Zeichen gesetzt haben!
Und nochmal ein ganz besonderes DANKE an den Mann, ohne den wir das alles gar nicht erlebt hätten – der sich so toll um die Organisation kümmert, mit Humor und Herzlichkeit den Laden zusammenhält, durch Leistung voran geht und dabei stets so bescheiden bleibt, für den man sich immer wieder gerne Krämpfe holen und auf dem Platz vorführen lassen würde… Danke an unseren großartigen Käpt’n: Ralf „Klemmi“ Klemm! Oder, wie Joscha zu sagen pflegt: Der Fisch duftet vom Kopf!
Daumen hoch für ein tolles Wochenende!